„Das Gebäudetyp-E-Gesetz“ – Neues Tätigkeitsfeld für Bau-Sachverständige?

Das Gebäudetyp-E-Gesetz im Überblick

  • Mit dem Gebäudetyp-E-Gesetz soll das Bauen einfacher, günstiger und schneller werden. Für die Beteiligten von Bauprojekten soll es einfacher werden, von gesetzlich nicht zwingenden Standards abzuweichen. Dafür soll das Bauvertragsrecht geändert werden. Insbesondere die Abweichung von reinen Komfort- und Ausstattungsstandards soll einfacher werden.
  • Abstriche bei Sicherheit und Wohngesundheit sind mit dem Gebäudetyp-E-Gesetz nicht verbunden:
    Die entsprechenden Vorgaben des öffentlich-rechtlichen Baurechts werden nicht verändert.
  • Durch einfaches Bauen lassen sich Baukosten in erheblichem Umfang sparen. Nach Schätzungen von Fachleuten lassen sich durch den Verzicht auf Komfortstandards bis zu 25 Prozent der Herstellungskosten einsparen. Fachleute taxieren das Einsparpotential des Gebäudetyp-E-Gesetzes auf jährlich 8,135 Milliarden Euro für die Wirtschaft.


1. Zum Ziel des Gesetzes

1.1. Warum soll einfaches und innovatives Bauen erleichtert werden?

Bauen in Deutschland ist derzeit zu teuer. Das liegt maßgeblich an den hohen Baustandards, denen Bauprojekte regelmäßig genügen müssen. Auch deshalb werden zu wenig neue Wohnungen gebaut. Die Folge ist ein dramatischer Mangel an Wohnraum, insbesondere in den Ballungszentren. Der Verzicht auf Komfortstandards kann Bauen erheblich günstiger machen.

1.2. Was verbirgt sich hinter der Wendung „Gebäudetyp E“?

„Gebäudetyp E“ steht für einfaches und experimentelles Bauen. Ein Gebäudetyp mit spezifizierten baulichen Eigenschaften ist nicht gemeint. Zumeist werden mit diesem Schlagwort Neubauprojekte bezeichnet, bei denen auf die Einhaltung von Komfortstandards verzichtet wird.

1.3. Wann soll das neue Gesetz in Kraft treten?

Ein Inkrafttreten ist frühestens im Frühjahr 2025 möglich; der genaue Zeitpunkt hängt vom weiteren Gang des Gesetzgebungsverfahrens ab.

2. Relevanz des Gesetzes

2.1. Wie viele Baukosten lassen sich einsparen durch einfaches Bauen?

Nach Schätzungen von Fachleuten lassen sich durch den Verzicht auf Komfortstandards bis zu 25 Prozent der Herstellungskosten einsparen. Wie viel genau sich bei einem konkreten Bauprojekt einsparen lässt, hängt maßgeblich davon ab, auf welche Komfortstandards konkret verzichtet wird – und wie sich allgemein die Marktpreise für entsprechende Standards entwickeln. Fachleute schätzen, dass das Gebäudetyp-E-Gesetz ein Einsparpotential von jährlich 8,135 Milliarden Euro für die Wirtschaft bietet.

2.2. Welche weiteren Vorteile hat einfaches und innovatives Bauen – neben den Kostenvorteilen?

Einfaches Bauen kann auch dazu beitragen, Ressourcen zu sparen. Und es geht schneller. Durch einfaches Bauen lässt sich im Idealfall in der gleichen Zeit beim Einsatz von weniger Ressourcen mehr neuer Wohnraum schaffen. Auch der Einsatz von innovativen Baustoffen und -methoden kann hierzu beitragen.

3. Zum Regelungsansatz

3.1. Wie wird das Gebäudetyp-E-Gesetz einfaches und innovatives Bauen erleichtern?

Durch das Gesetz soll das Bauvertragsrecht im Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) geändert werden. Das geltende Bauvertragsrecht macht einfaches Bauen schwer: Es führt insbesondere dazu, dass beim Bauen häufig Komfortstandards eingehalten werden müssen, die öffentlich-rechtlich nicht zwingend sind und die die Vertragsparteien auch nicht ausdrücklich vereinbart haben.

3.2. Wie soll das Bauvertragsrecht durch das Gesetz geändert werden?

Das Gebäudetyp-E-Gesetz sieht im Wesentlichen vier Änderungen des Bauvertragsrechts vor:

  • (1) Ohne ausdrückliche Vereinbarung keine Pflicht zur Einhaltung von reinen Komfortstandards: Wer in Erfüllung eines Vertrags ein Bauwerk errichtet (d.h. der Bauunternehmer), soll zukünftig nur noch dann vertraglich dazu verpflichtet sein, reine Komfort- und Ausstattungsstandards zu erfüllen, wenn diese ausdrücklich vereinbart wurden. Im Verhältnis zu Verbraucherinnen und Verbrauchern gilt bei Abweichungen von reinen Komfort- und Ausstattungsstandards allerdings eine Hinweispflicht: Sie müssen darauf hingewiesen werden, in welchen „Baubereichen“ (z.B. Schallschutz; Elektrotechnik) von technischen Normen und Regeln abgewichen wird, die reine Komfort- und Ausstattungsstandards betreffen. Unterbleibt der Hinweis, können je nach den Umständen des Einzelfalls Schadensersatzansprüche in Betracht kommen.
  • (2) Ohne ausdrückliche Vereinbarung keine Pflicht zur Einhaltung von Standards, die die Nutzung von innovativen, nachhaltigen oder kostengünstigen Bauweisen oder Baustoffen erheblich erschweren (bei entsprechender Bestimmung der Bundesregierung): Die Bundesregierung soll ermächtigt werden, durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates technische Bundesministerium der Justiz (BMJ) November 2024 Normen und Regeln zu bestimmen, die die Nutzung von innovativen, nachhaltigen oder kostengünstigen Bauweisen oder Baustoffen erheblich erschweren. Diese Normen und Regeln sollen ohne ausdrückliche Vereinbarung dann ebenfalls nicht Vertragsinhalt werden. Im Verhältnis zu Verbraucherinnen und Verbrauchern sollen insoweit die gleichen Hinweispflichten gelten wie beim Abweichen von reinen Komfort- und Ausstattungsstandards.
  • (3) Erleichterte Vereinbarung über Abweichung von „anerkannten Regeln der Technik“: In Verträgen zwischen fachkundigen Unternehmern soll zudem die Abweichung von „anerkannten Regeln der Technik“ durch Vereinbarung erleichtert werden. Dies betrifft vor allem technische Normen und Regeln, die über reine Komfort- und Ausstattungsstandards hinausgehen, deren Einhaltung aber für die Sicherheit des Bauwerks dennoch nicht unbedingt erforderlich ist.
  • (4) Abweichen von „anerkannten Regeln der Technik“ auch ohne Vereinbarung kein automatischer Sachmangel: Ein Abweichen von „anerkannten Regeln der Technik“ ohne Vereinbarung soll bei Verträgen zwischen fachkundigen Unternehmern nicht mehr automatisch ein Sachmangel sein.


4. Die neuen Regeln im Umgang mit reinen Komfort- und Ausstattungsstandards

4.1. Welche Neuerungen sollen in Bezug auf reine Komfort- und Ausstattungsstandards gelten?

Reine Komfort- und Ausstattungsstandards sollen künftig nur dann vertraglich eingehalten werden müssen, wenn sie ausdrücklich vereinbart wurden. Verbraucherinnen und Verbraucher müssen allerdings vom Bauunternehmer darauf hingewiesen werden, in welchen „Baubereichen“ (z.B. Schallschutz; Elektrotechnik) von technischen Normen und Regeln abgewichen wird, die reine Komfort- und Ausstattungsstandards betreffen.

4.2. Sind die Neuerungen auch relevant im Verhältnis zu privaten Bauherren?

Ja. Private (nicht-gewerbliche) Bauherrn sind Verbraucherinnen und Verbraucher. Auch für sie gelten dievorstehend erläuterten Neuerungen (mit der Maßgabe der erwähnten Hinweispflicht).

4.3. Warum sind reine Komfortstandards für das Bauvertragsrecht überhaupt relevant?

Nach dem Bauvertragsrecht gilt: Wer in Erfüllung eines Vertrags ein Bauwerk errichtet, muss grundsätzlich die „anerkannten Regeln der Technik“ (aRdT) einhalten. Was aRdT sind, ist gesetzlich nicht definiert. Maßgeblich ist letztlich das Verständnis der Gerichte. Zu den aRdT zählen die Gerichte auch viele technische Normen, die reine Komfortstandards sind und nicht gesetzlich vorgegeben sind (z.B. bestimmte DIN-Normen).

4.4. Welche Beispiele gibt es für reine Ausstattungs- und Komfortstandards?

Nach DIN-Norm 18015 sind auch für kleine Wohnzimmer mindestens vier Steckdosen vorzusehen; in Wohnzimmern ab 20 Quadratmetern sind mindestens fünf Steckdosen vorzusehen. Das ist ein Beispiel Bundesministerium der Justiz (BMJ) November 2024 für einen Komfortstandard. Nach DIN EN 12831-1 Tabelle B.14 wird für Badezimmer eine Norminnentemperatur von 24 Grad gefordert (was in der Baupraxis dazu führt, dass eine Fußbodenheizung oft um einen Handtuchheizkörper ergänzt wird). Auch das ist ein Komfortstandard. Reine Komfortstandards sind ferner z.B. Erwartungen an die lichte Raumhöhe, Fensterformate (z.B. bodentief) oder die Balkongröße. Generell können Ausstattungs- und Komfortstandards sowohl den Baukörper als auch die Innenausstattung oder Außenanlagen betreffen.

4.5. Sind Normen zur Barrierefreiheit bloße Komfort- und Ausstattungsstandards?

Ziel der technischen Normen zur Barrierefreiheit (insbesondere DIN 18040-1 und -2) ist die Gewährleistung der Zugänglichkeit von Gebäuden/Wohnungen für Bewohner und Besucher sowie der Möglichkeit, auch bei Behinderungen bzw. Mobilitätseinschränkungen weiterhin in der Wohnung zu verbleiben. Die Normen zur Barrierefreiheit dienen aber auch der Sturz- und Verletzungsprävention und haben damit Sicherheitsrelevanz. Sie betreffen somit keine Komfort- und Ausstattungsmerkmale.

4.6. Wer soll bestimmen, ob ein Standard ein reiner Ausstattungs- und Komfortstandard ist?

Ob ein konkreter Standard ein reiner Ausstattungs- und Komfortstandard ist, muss im Streitfall ein Gericht entscheiden. Bei vielen Standards dürfte sich diese Frage einfach klären lassen.

5. Die neuen Regeln im Umgang mit technischen Standards, die die Nutzung von innovativen, nachhaltigen oder kostengünstigen Bauweisen oder Baustoffen erheblich erschweren

5.1. Welche Neuerungen sollen in Bezug auf Standards gelten, die die Nutzung von innovativen, nachhaltigen oder kostengünstigen Bauweisen oder Baustoffen erheblich erschweren?

Die Bundesregierung soll ermächtigt werden, durch Rechtsverordnung ohne Zustimmung des Bundesrates technische Normen und Regeln zu bestimmen, die die Nutzung von innovativen, nachhaltigen oder kostengünstigen Bauweisen oder Baustoffen erheblich erschweren. Diese Normen und Regeln sollen ohne ausdrückliche Vereinbarung dann ebenfalls nicht Vertragsinhalt werden. Verbraucherinnen und Verbrauchern müssen allerdings vom Bauunternehmer darauf hingewiesen werden, in welchen „Baubereichen“ (z.B. Schallschutz; Elektrotechnik) von den entsprechenden Normen abgewichen werden soll.

5.2. Welchen Zweck hat die vorgeschlagene Neuerung?

Das geltende Bauvertragsrecht erschwert die die Nutzung von innovativen, nachhaltigen oder kostengünstigen Bauweisen und Baustoffen. Wie dargelegt, muss der Bauunternehmer grundsätzlich die „anerkannten Regeln der Technik“ einhalten (vgl. 4.3). Innovative Baustoffe und Bauweisen stehen nach dem Verständnis der Rechtsprechung häufig nicht im Einklang mit den „anerkannten Regeln der Technik“; denn um als „anerkannte Regel der Technik“ anerkannt zu werden, müssten sie sich in der Praxis erst umfänglich bewährt haben. Das verhindert Innovation und Einsparungen beim Bauen.

5.3. Soll die Bundesregierung künftig also DIN-Normen abschaffen können?

Nein. DIN-Normen sind keine gesetzlichen Regelungen und werden durch die Bundesregierung auch nicht abgeschafft werden können. Die Bundesregierung wird durch Bestimmung in einer Rechtsverornung lediglich für Zwecke des Bauvertragsrechts die Abweichung von bestimmten DIN-Normen erleichtern können, die die Nutzung von innovativen, nachhaltigen oder kostengünstigen Bauweisen oder Baustoffen erheblich erschweren.

6. Die neuen Regeln im Verhältnis zwischen fachkundigen Unternehmern

6.1. Welche neuen Regeln sollen künftig zwischen fachkundigen Unternehmern gelten?

Für Gebäudebauverträge zwischen fachkundigen Unternehmern – und nur für diese – soll die Abweichung von „anerkannten Regeln der Technik“ (aRdT) erleichtert werden. Es geht dabei auch um die Abweichung von Standards, die nicht reine Ausstattungs- und Komfortstandards sind. Für die Abweichung von aRdT soll im Verhältnis zwischen fachkundigen Unternehmern künftig gelten:

  • Eine vertragliche Vereinbarung über eine Abweichung von den „anerkannten Regeln der Technik“ soll nicht mehr voraussetzen, dass der Bauunternehmer den Besteller des Bauwerks über Risiken und Konsequenzen der Abweichung aufklärt.
  • Auch ohne ausdrückliche Beschaffenheitsvereinbarung soll eine Abweichung von den „anerkannten Regeln der Technik“ unter gewissen Voraussetzungen keine weiteren Ansprüche gegen den Bauunternehmer zur Folge haben. So soll eine Abweichung von den „anerkannten Regeln der Technik“ dann keinen Mangel des Bauwerks begründen, wenn (1) die Abweichung, einschließlich der Auswirkungen auf die Kosten, dem Besteller vor Ausführung der Bauleistung angezeigt wird, (2) der Besteller nicht unverzüglich widersprochen hat und (3) die dauerhafte Sicherheit und Eignung sowie die Qualität des Gebäudes gewährleistet sind.


6.2. Wann ist ein Unternehmer „fachkundig“?

Über Fachkunde verfügt ein Unternehmer oder ein von ihm beauftragter Mitarbeiter dann, wenn er eine technische Berufsausbildung, Berufserfahrung, Nähe zu dem beruflichen Tätigkeitsfeld und Kenntnis der aktuellen berufsbezogenen Wissensstände im Hinblick auf den Gebäudebau aufweist. Dem Unternehmer muss es möglich sein, für bereichsspezifische Fachfragen, die die konkrete Planung oder Ausführung betreffen, im eigenen Unternehmen oder außerhalb Antworten zu finden, ohne externe kostenauslösende Beratung in Anspruch zu nehmen.

6.3. Sind die Folgen einer Abweichung von „anerkannten Regeln der Technik“ für die Vertragsparteien absehbar?

Für Laien ist es oft schwierig, die Folgen einer Abweichung von „anerkannten Regeln der Technik“ einzuschätzen. Aus diesem Grund gelten die vorgesehenen Erleichterungen nur für fachkundige Unternehmer. Diese sind in der Lage, die Konsequenzen einzuschätzen bzw. sich detaillierter zu informieren oder beim Vertragspartner nachzufragen und der Abweichung erforderlichenfalls zu widersprechen.

7. Mögliche Bedenken – und ihre Widerlegung

7.1. Müssen private Bauherren künftig befürchten, dass der Bauunternehmer gegen ihren Willen Abstriche beim Komfort macht?

Nein. Zwar gilt auch im Verhältnis zu Verbraucherinnen und Verbrauchern künftig: Reine Ausstattungsund Komfortmerkmale sind nur dann Gegenstand der vertraglichen Leistungspflicht, wenn sie ausdrücklich vereinbart wurden. Verbraucherinnen und Verbraucher müssen allerdings vor Vertragsschluss darauf hingewiesen werden, in welchen Baubereichen (z.B. Schallschutz; Elektrotechnik) von den Standards abgewichen wird. Sie können dadurch dann immer noch einen höheren Komfort vereinbaren. Unterbleibt der Hinweis, können je nach den Umständen des Einzelfalls Schadensersatzansprüche in Betracht kommen.

7.2. Ist das Gebäudetyp-E-Gesetz mit Sicherheitsrisiken verbunden?

Nein. Das Gebäudetyp-E-Gesetz macht keine Abstriche an der Gebäudesicherheit (z.B. im Hinblick auf Statik und Brandschutz). Die Gebäudesicherheit wird durch öffentlich-rechtliche Vorgaben gewährleistet; diese werden durch das Gesetz nicht geändert. Abweichungen von den „anerkannten Regeln der Technik“ sollen nur für Verträge zwischen fachkundigen Unternehmern erleichtert werden – und sie sollen auch nur für den Fall erleichtert werden, dass die dauerhafte Sicherheit und Eignung des Gebäudes gewährleistet ist.

7.3. Werden durch das Gebäudetyp-E-Gesetz Vorgaben des öffentlich-rechtlichen Baurechts verändert oder abgeschafft?

Nein. Das Gebäudetyp-E-Gesetz bezieht sich ausschließlich auf das private Bauvertragsrecht; es ändert also nichts an den öffentlich-rechtlichen Vorgaben, die alle Bauvorhaben einzuhalten haben. Es betrifft allein die Frage, welche (gesetzlich nicht zwingenden) Standards vertraglich einzuhalten sind, wenn jemand einen Bauvertrag oder einen damit in Zusammenhang stehenden Vertrag abschließt.

7.4. Besteht die Gefahr, dass die Errichtung von Gebäuden nach dem Gebäudetyp E mehr Rechtsstreitigkeiten zwischen Besteller und Unternehmer nach sich zieht?

Ziel der vorgeschlagenen Gesetzesreform ist es gerade, die derzeit bestehenden Rechtsunsicherheiten und Streitrisiken in Zusammenhang mit dem Bauen nach dem Gebäudetyp E einzudämmen. Diese resultieren zum einen daraus, dass für die Vertragsparteien oftmals unklar ist, was die als „anerkannte Regeln der Technik“ vertraglich geschuldeten technischen Standards sind, und hierzu von der Rechtsprechung oftmals auch reine Komfort- und Ausstattungsstandards gezählt werden. Dies hat zur Folge, dass Unternehmer derzeit vorsorglich sämtliche Standards einhalten. Zum anderen resultieren die Rechtsunsicherheiten daraus, dass Abweichungen von den „anerkannten Regeln der Technik“ auch zwischen Un-
ternehmern nur unter Einhaltung besonderer Voraussetzungen wirksam sind. Diese Schwierigkeiten des geltenden Bauvertragsrechts sollen durch die Reform beseitigt werden.

7.5. Besteht die Gefahr, dass das Bauen nach dem Gebäudetyp E zu mehr Streit im Verhältnis von Vermietern und Mietern führen wird?

Die rechtliche Situation im Mietverhältnis bleibt durch die Neuregelungen unberührt. Vor diesem Hintergrund besteht kein Grund zur Annahme, dass es bei Gebäuden, die nach dem Gebäudetyp E errichtet wurden, zu mehr Streitigkeiten im Verhältnis von Mieter und Vermieter kommen wird. Das Mietrecht vermittelt keinen Anspruch darauf, dass jede „anerkannte Regel der Technik“ eingehalten wird. Der Mieter hat lediglich einen Anspruch darauf, dass ihm die Wohnung in einem Zustand überlassen wird, in dem sie sich zum vertragsgemäßen Gebrauch eignet. Was der vertragsgemäße Gebrauch ist, können die Parteien im Mietvertrag bestimmen. Ein Vermieter kann also zum Beispiel im Mietvertrag festhalten, dass die Trittschalldämmung geringer ist, als nach den aktuellen DIN-Normen vorgesehen. Verzichten die Parteien auf eine ausdrückliche Vereinbarung zur Beschaffenheit der Mietsache, dann ist der bei vergleichbaren Wohnungen „übliche Wohnstandard“ geschuldet. Das ist auch heute schon so. In vielen Fällen wird die Tauglichkeit zu Wohnzwecken auch gar nicht tangiert sein, wenn beim Bau technische Normen zu Komfort- und Ausstattungsstandards nicht erfüllt sind oder von einzelnen „anerkannten Regeln der Technik“ abgewichen wird.

7.6. Wäre es für den Erfolg des Gebäudetyp E nicht erforderlich, dass die Unternehmer und Planer bei einer Abweichung von DIN-Normen gar nicht haften?

Ein derartiger allgemeiner Haftungsausschluss wäre mit den Grundsätzen des Werkvertragsrechts nicht vereinbar und kommt deshalb nicht in Betracht. Besteller müssen weiterhin auf die Einhaltung von sicherheitsrelevanten Standards vertrauen dürfen. Den Parteien steht es frei, vertraglich zu vereinbaren, dass von bestimmten Standards abgewichen werden soll. Dafür sind Verbraucherinnen und Verbraucher sowie nicht fachkundige Unternehmer über die Risiken und Konsequenzen der Abweichung aufzuklären.

8 . Ergänzende Fragen zum Verständnis und Hintergrund

8.1. Welche Bedeutung haben DIN-Normen im Bauvertragsrecht, insbesondere vor Gericht?

DIN-Normen sind nicht-gesetzliche Normen, die unter der Leitung des Deutschen Instituts für Normung (DIN) erarbeitet werden. Sie enthalten Empfehlungen, deren Anwendung den Beteiligten grundsätzlich freisteht. Baurelevante DIN-Normen bilden die Grundlage für die Bauplanung und Bauausführung, sie legen die generellen Richtlinien am Bau fest. Damit kommt DIN-Normen auch eine effizienzsteigernde Wirkung zu.
Bei sicherheitstechnischen Festlegungen in DIN-Normen (siehe DIN 820 12) besteht aus Sicht des DIN eine konkrete Vermutung dafür, dass sie „anerkannte Regeln der Technik“ sind. Alle anderen DIN-Normen sollen sich aus der Sicht des DIN erst als anerkannte Regeln der Technik etablieren (vgl. DIN 820-1).
Zuständig für das Normungswesen ist innerhalb der Bundesregierung das BMWK.
Die Rechtsprechung geht im Bauvertragsrecht überwiegend von der Vermutung aus, dass zu den „anerkannten Regeln der Technik“ auch alle DIN-Normen gehören. Das bedeutet, dass die DIN-Normen auch ohne gesonderte vertragliche Vereinbarung als Standard für die bauvertragliche Leistung zugrunde gelegt werden, und zwar unabhängig davon, ob es sich um sicherheitstechnische Festlegungen oder um reine Komfort- und Ausstattungsstandards handelt.
Viele DIN-Normen sind für gutes Wohnen nicht notwendig und stellen bloße Komfortstandards da. Ihre Einhaltung ist nach der Rechtsprechung regelmäßig auch dann geschuldet, wenn die Parteien dies gar nicht ausdrücklich vereinbart haben. Vertragliche Abweichungen von den „anerkannten Regeln der Technik“ sind nach dem geltenden Bauvertragsrecht zwar möglich, aber derzeit mit Rechtsunsicherheit und Prozessrisiken behaftet. Deshalb werden Bauvorhaben zumeist so ausgeführt, dass sie allen DIN-Normen entsprechen: auch denen, deren Einhaltung für gutes Wohnen nicht zwingend ist – und deren Einhaltung nicht ausdrücklich vereinbart wurde. Mit dem Gebäudetyp-E-Gesetz wird nun gesetzlich klargestellt, dass reine Komfort- und Ausstattungsstandards nur dann Gegenstand der vertraglichen Leistungspflicht sind, wenn sie ausdrücklich vereinbart wurden. Ohne ausdrückliche Vereinbarung soll die Einhaltung solcher Standards nicht geschuldet sein.

8.2. Wie wurde das Gebäudetyp-E-Gesetz erarbeitet?

Der Entwurf für das Gebäudetyp-E-Gesetz wurde in engem Austausch mit Expertinnen und Experten und maßgeblichen Stakeholdern entwickelt. Das Bundesministerium der Justiz (BMJ) hat dazu die Arbeitsgruppe „Einfaches Bauen“ initiiert; an ihr haben Vertreterinnen und Vertreter des BMJ, des Bundesministeriums für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen (BMWSB), der Bau- und Landesjustizverwaltungen der Länder, von Verbänden und der Rechtswissenschaft teilgenommen.

8.3. Welche weiteren Erleichterungen für einfaches Bauen sind geplant?

Das Gebäudetyp-E-Gesetz ist nicht das einzige politische Vorhaben, mit dem einfaches Bauen in Deutschland erleichtert werden soll. Das Bundesministerium für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen hat eine „Leitlinie und Prozessempfehlung Gebäudetyp E“ erarbeitet und auf seiner Website veröffentlicht. Sie soll Vertragsparteien als Hilfsmittel dienen bei der Gestaltung von Verträgen für Neubauten nach dem Gebäudetyp E. Darüber hinaus beabsichtigen viele Länder, Vorgaben des öffentlich-rechtlichen Baurechts für den Neubau von Wohnungen zu reduzieren.

8.4. Mit welchen weiteren Maßnahmen fördert die Bundesregierung den Neubau von Wohnungen?

Die Bundesregierung hat zahlreiche weitere Maßnahmen auf den Weg gebracht, um den Neubau von Wohnungen attraktiver zu machen: neue Abschreibungsregeln; die Aussetzung der Verankerung von EH 40 als verbindlichem gesetzlichen Neubaustandard; Verfahrensvereinfachungen und Beschleunigungen im öffentlichen (Bau-)Recht; den Erlass neuer Regeln zu Wohngemeinnützigkeit u.v.m.

(vgl. https://www.bmjv.de/SharedDocs/Downloads/DE/Gesetzgebung/Dokumente/Infopapier_Gebaeudetyp-E-Gesetz.pdf?, Stand: 25.11.2024)